ärsche >>zur psychosomatik des zeitgeistes<<

lachender arsch - cul riant

Der Arsch scheint dazu verurteilt, sein Dasein im Dunkeln zu fristen, wie der Chlochard unter den Körperteilen. Er ist der wirkliche Idiot der Familie. Doch es wäre ein Wunder, wenn dieses schwarze Schaf des Körpers nicht über alles, was in den höheren Regionen passiert, seine eigene Meinung hätte, ähnlich wie die Deklassierten oft den nüchtersten Blick auf die Leute in den oberen Rängen werfen. Ließe sich der Kopf nur mal ins Gespräch ein mit seinem Antipoden, so würde ihm dieser als erstes die Zunge herausstrecken, wenn er eine hätte. Wie in dem Aufklärungsfilm der Roten Grütze Was heißt hier Liebe würde der Arsch zu den höheren Sphären sagen: Ich finde, daß unser Verhältnis zueinander beschissen ist.
Der Arsch ist der Plebejer, der Basisdemokrat und der Kosmopolit unter den Körperteilen, mit einem Wort das elementare kynische Organ. Er liefert die solide materialistische Basis. Auf den Klos aller Herren Länder ist er zu Hause. Die Internationale der Ärsche ist die einzige weltumspannende Organisation, die auf Statuten, Ideologie und Mitgliedsbeiträge verzichtet. An ihrer Solidarität ist nicht zu rütteln. Spielend überwindet der Arsch alle Grenzen, im Unterschied zum Kopf, dem Grenzen und Besitztümer viel bedeuten. Ohne Einwände hockt er auf diesem oder jenem Stuhl. Einem unverdorbenen Arsch importiert der Unterschied zwischen einem Thron und einem Küchenschemel, einem Hocker und einem Heiligen Stuhl nicht besonders. Es darf auch mal der Erdboden sein, er mag nur nicht stehen, wenn er müde ist. Diese Neigung zum Elementaren und Grundsätzlichen prädisponiert den Arsch eigentümlich zur Philosophie. Wohl registriert er die Nuancen, aber es fiele ihm nicht ein, um sie soviel Aufhebens zu manche wie die eitlen Köpfe, die sich über die Besetzung von Stühlen gegenseitig blutig schlagen. Er verliert nie den Blick auf das, worauf es letztlich ankommt, den festen Boden. Auch im erotischen Sinn zeigt sich der Arsch oft zugleich gefühlvoll und überlegen. Er gibt sich nicht wählerischer als nötig . Auch da ist er es, der leicht über eingebildete Grenzen und Exklusivitäten hinwegkommt. Als man der seinerzeit berühmten Arletty vorwarf, mit den deutschen Besatzern sexuelle Beziehungen gehabt zu haben, soll ihre Antwort gewesen sein: "Mon cœur est français, mais mon cul est international". Als Repräsentant des kynischen Prinzips schlechthin (überall leben können, Reduktion aufs Wesentliche) läßt sich der Arsch kaum verstaatlichen, obwohl man nicht leugnen kann, daß schon manches Arschloch nationalistische Töne von sich gegeben hat.
Viel geprügelt, getreten und gekniffen, hat der Arsch ein Weltbild von unten, plebejisch, populär, realistisch. Jahrtausende schlechter Behandlung sind nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Sie haben ihn zum Materialisten erzogen, doch einem der dialektischen Richtung, die davon ausgeht, daß die Dinge beschissen, aber nicht hoffnungslos sind. Nichts macht so bitter wie das Gefühl, nicht willkommen zu sein. Allein der Unterton an Faszination, der durch soviel Mißachtung hindurchzuhören ist, gibt dem Unterdrückten ein heimliches Machtgefühl. Eine Sache, von der man so hartnäckig schweigt, obwohl man ihr nicht ausweichen kann, muß eine große Macht über die Geister haben. Hinter den stärksten Schimpfwörtern steckt oft die besten Energien. Es ist, als ob all die mißachteten Hintern auf ihre Stunde warten, um Revanche zu feiern in der absehbaren Zukunft, wenn wieder mal alles im Arsch sein wird. Zeitgefühl ist überhaupt eine ihrer besonderen Stärken, denn Ärsche entwickeln von früh auf ein Gefühl für das, was sofort sein muß, für das, was sich aufschieben läßt, und für das, was man mit geduldigem Sitzfleisch bis zum Jüngsten Tag warten lassen kann. Das ist eine geradezu politische Kunst, die man heute als timing bezeichnet und die ihre Wurzeln hat in einer Praxis, die schon die Kinderärsche einüben, das, was sein muß, zur richtigen Zeit, früh genug und spät genug, zu verrichten.
Der Arsch triumphiert heimlich durch das Bewußtsein, daß es ohne ihn nicht geht. Dasein kommt vor dem Sosein; erst die Existenz, dann die Qualitäten; erst die Wirklichkeit, dann Gut und Böse, Oben und Unten. So sind die Ärsche, von ihren dialektisch-materialistischen Neigungen abgesehen, auch die ersten Existentialisten. Sie üben die existentielle Dialektik im voraus: soll man sich für das entscheiden, was ohnehin sein muß, oder wählt man die Revolte gegen das Unvermeidliche? Auch wer sich entscheidet, den Dingen ihren eigenen Gang zu lassen, hat sich, wie Sartre sagt, dafür entschieden, sich nicht zu entscheiden. Die Freiheit gibt sich der Notwendigkeit hin. Er kann sich aber auch dagegen entscheiden, natürlich nicht dagegen, daß er muß, aber dagegen, daß das Müssen alles mit ihm machen kann. Er kann dagegen ankämpfen und das, was sein muß, zurückhalten; dann ist er, mit Camus, der Mensch in der Revolte. Kein Mensch muß müssen, sagt Lessings Nathan, der Volksmund setzt hinzu: nur sterben und scheißen muß man. Das bleibt das kynische Apriori. Dem dialektischen Verhältnis von Freiheit und Notwendigkeit ist also der Arsch von allen Organen des Körpers am nächsten. Nicht zufällig widmet ihm die Psychoanalyse - eine durchaus kynisch inspirierte Disziplin - subtile Untersuchungen und benennt ein grundlegendes anthropologisches Stadium, die anale Phase, nach Erfahrungen und Schicksalen des Arsches. Seine Themen sind Können und Nichtkönnen, Müssen und Nichtdürfen, Haben und Zurückhalten. Das Leistungsprinzip steckt darin. Den Arsch verstehen wäre daher die beste Vorschule zur Philosophie, die somatische Propädeutik. Wieviel verstopfte Theorien wären uns erspart geblieben! Wieder ist es Diogenes, der uns hier begegnet. Er war der erste europäische Philosoph, der statt vieler Worte auf dem athenischen Markt seine Notdurft verrichtete. Naturalia non sunt turpia. In der Natur finden wir nichts, wofür wir uns schämen müßten, sagt er. Wirkliche Bestialität und pervertierte Geister finden wir erst dort, wo die Arroganz der Moral und die Verwirklichung der Kultur einsetzen. Die Köpfe wollten aber nicht wahrhaben, daß dies eine frühe Sternstunde der Vernunft war, ein Moment, in dem die Philosophie einen Ausgleich mit dem Naturprinzip gefunden hatte. Einen Augenblick lang war sie schon jenseits von Gut und Böse und jenseits des Naserümpfen. Die seriösen Denker dagegen beharren auf ihrer Ansicht; nach ihnen kann es nur ein Scherz gewesen sein oder eine provokative Schweinerei. Sie weigern sich, einen wahrheitsproduktiven Sinn in einer solchen Manifestation zu vermuten.

Aus dem Buch >>Kritik der zynischen Vernunft<< in zwei Bänden von Peter Sloterdijk, 1983, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main

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>>selbstkritik / autocritique<< Knochen und steine im körper, im gehirn? Das knöcherne überkommener vorstellungen, jener vorstellungen, die nur mir gehören und dennoch übernommen sind und wie ein klischee funktionieren. Die verknöcherte, vergefertigte vorstellungen, die selbst dann, wenn ich ihr autor bin und als einziger an sie glaube, wie ein gemeinplatz wirkt und in der folge die kraft, die bewegung, die freiheit meines denkens blockiert. Es gibt gemeinplätze, die keinen autor haben. Es gibt aber auch solche, deren autor und ursprung ich selbst bin. Auf jene letzteren reagiert attaque verbal wie sartre allergisch; den ganz persönlichen klischees, den privaten gemeinplätzen hat er den gnadenlosen kampf angesagt. Gegen sich selbst andenken. Leichthin geäußerten worten und haltungen neues gewicht geben. Die vorgezeichneten wege durchkreuzen. Eingeschliffene verkettungen aufsprengen. Dynamit an die eigenen gedanken legen, sie aus gewohnten bahnen schleudern. Die reflexion gegen die eigenen neigungen bis zu einem sochen punkt vorantreiben, daß schließlich, wie es in den wörtern heißt, "ein gedanke um so einleuchtender" erscheint, "je mehr er" dem mißfällt, der ihn nährt. Kurz: die wahrheit suchen und dabei, wie nietzsche empfahl, darauf bedacht sein, gegen die eigenen neigungen partei ergreifen. Wozu soll denken gut sein, wenn nicht dafür, das zu denken, wofür ich nicht im mindestens prädestiniert bin? Darauf konzentriert sich die ganze anstrengung des sartreschen und des attaque verbal'schen denkens. Das wird von uns, seinen lesern heute und morgen, verlangt. Wie werden wir ins 21. jahrhundert eintreten - mit oder ohne klischees? >>Siehe lévy, bernard-henri, was ist ein ungeheuer? (biographische krümmel) und vgl. réne schérer, regards sur deleuze sowie jean-paul sartre, die wörter<<

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SALÓ - Die 120 Tage von Sodom ist ein Spielfilm des italienischen Regisseurs Pier Paolo Pasolini aus dem Jahr 1975. Der Film basiert auf dem Buch Die 120 Tage von Sodom des Marquis de Sade.



AVIDA - Ein Taubstummer und zwei Drogenabhängige versuchen, den Hund einer reichen, schwer übergewichtigen Frau zu entführen. Dies misslingt. Die Frau erreicht, dass die Entführer ihr vor ihrem Tod einen letzten Wunsch erfüllen. Den Regisseuren gelingt eine skurrile bildgewaltige Fabel, eine schrille Art von Film Noir.



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